Der Tausendfüßler – Das Blog zum Roman


Frohe Weihnachten und einen „juten“ Rutsch ins Jahr 2016
Weihnachten 2016 in Familie

Weihnachten in Familie

Ich wünsche allen Lesern meines Blog von Herzen ein schönes Weihnachtsfest im Kreise der Familie und einen „juten“ Rutsch in das neue Jahr 2016.

Bleibt gesund!

Euer Jens



Interview mit dem Berliner Comic-Zeichner MAWIL zu seinem Buch „KINDERLAND“

„Kinderland“ erhielt Max und Moritz-Preis

MAWIL – diese 5 Buchstaben stehen für einen der versiertesten Comic-Zeichner Deutschlands. Comic’s von ihm wie zum Beispiel „Wir können ja Freunde bleiben“, „Die Band“, „Action Sorgenkind“ oder das DDR-Buch „Kinderland“ erschienen beim Verlag REPODUKT und im Ausland. Der Berliner Comic-Zeichner mawil lehrt als Dozent für das Goethe-Institut oder an der BTK, zeichnet für Magazine und Zeitungen wie den Tagesspiegel in Berlin. Außerdem kann man ihm als Fan auf seinen Ausstellungen begegenen, die jeder Besucher seiner Webseite auf mawil.net nachlesen kann.

Kinderland (Klappentext): Ostberlin im Sommer 1989: Mirco Watzke steckt in der Klemme. Der sonst so vorbildliche Schüler der Klasse 5a hat Ärger mit den blöden FDJlern, und der Einzige, der ihm dabei helfen kann, ist ausgerechnet dieser unheimliche Neue aus der Parallelklasse …

Interview mit Comic-Zeichner mawil

Cover Kinderland mawil

Kinderland von mawil

Hallo MAWIL! Ich grüße Dich und freue mich sehr, dass Du für das 10-Fragen-Interview für mein Literaturblog „Der Tausendfüßler“ zu Deinem Comic-Buch „Kinderland“ zur Verfügung stehst.

Du beschreibst ja sehr passend und mitunter genau den Alltag der Kinder & Jugendlichen in der DDR. Ich bin selbst 77er Jahrgang und kann im Buch viele Parallelen zu meiner eigenen Kindheit ziehen und vor allem passen einige Szenarien wie die Faust auf’s Auge. Ich hatte stets das Gefühl in meiner eigenen Vergangenheit wieder präsent zu sein. Viele Erinnerungen, die ich längst vergessen hatte oder die nur selten zum Vorschein kommen, waren plötzlich wieder da.

Gratulation zu diesem Buch und auch den dafür 2014 erhaltenen Max und Moritz-Preis in der Kategorie „Bester deutschsprachiger Comic“.

Jens: Wie bist Du eigentlich auf den Titel „Kinderland“ gekommen?

MAWIL: Mir war ziemlich schnell klar, dass ich nie DAS ultimative DDR-Comic zeichnen kann. Jeder hat ein anderes Land mitbekommen -es gab ja so viele Nischen- und mehr oder weniger gelitten, ich selber hab dort sowieso nur die Kindheit erlebt. Da wollte ich mich dann lieber auf diese Zeit konzentrieren, die ich wirklich kenne und dann fiel mir zum Glück die berühmte Gerhard-Schöne-Platte „Lieder aus dem Kinderland“ ein. Die hatte ja neben Lakomys „Traumzauberbaum“ jeder.

Berlin-Mitte und der Pionierknoten Szene aus Kinderland von mawil

Berlin-Mitte und der Pionierknoten Szene aus Kinderland von mawil

Jens: Du hast ja viele typische DDR Szenarien beschrieben wie zum Beispiel das SERO-Altstoff-Sammeln. Hast Du damals auch selbst gesammelt und kennst Du noch den Trick beim Altpapier nasse Zeitungen in das Bündel zu legen, damit es schwerer wird und ein paar Pfennige mehr rüber kommen?

MAWIL: Nee, den Trick kannte ich noch nicht, aber so im Nachhinein holt jeder noch die verrücktesten Anekdoten aus dem Ärmel, wie man sich an dem Staat gerächt oder sich das Notwenigste organisiert hat. Kein Wunder, dass dieser Sozialismus nicht funktionieren konnte.

Tischtennis-Szene Kinderland mawil

Tischtennis-Szene aus Kinderland von mawil

Jens: Tischtennisplatte und 2-Sterne-Bälle – Tischtennis spielt eine elementare Rolle in Deinem Buch. Hast Du selbst früher viel Tischtennis gespielt? Warum hast Du das Spiel so in den Vordergrund gerückt? Spielst Du heute noch?

MAWIL: Es gab ja im Osten nur zwei Sportarten. Fußball für die Kinder ohne Brillen und Tischtennis für die Kinder mit. Und Tischtennis war so die einzige Sportart, in der ich einigermaßen mithalten konnte, ja sogar auch mal kleine Triumphe feiern konnte. Ich spiele auch heute noch, selten aber regelmäßig und als der Verlag mit der Idee für ein DDR-Comic auf mich zu kam, wollte ich eigentlich gerade eher eine Tischtennis-Manga-Saga schreiben. Ist es ja dann auch irgendwie geworden. Man muss schon etwas selbst erleben, wenn man über die Leidenschaft berichten will.

Fahnenappell-Szene aus Kinderland von mawil

Fahnenappell-Szene aus Kinderland von mawil

Jens: Du warst doch sicherlich auch Jungpionier? Die Szene mit dem Fahnenappell kennt wohl jeder aus der DDR-Zeit und der Schulzeit. Wie war Dein Verhältnis zur Kirche, kann man dieses von Deinem Protagonisten „Mürgo“ ableiten?

MAWIL: Die Kirche war auf jeden Fall ein Ort, an dem man damals interessante Leute getroffen und sich auch in fremden Gemeinden schneller wohl gefühlt hat, als auf einem fremden Schulhof. Ich bin da durch meine Eltern reingeboren, wurde aber auch zu den Jungpionieren gesteckt. Sicherheitshalber.

Berliner Mauer - Szene aus mawils Kinderland

Berliner Mauer-Szene aus mawils Comic Kinderland

Jens: Warst Du selbst im Gruppenrat tätig? Ich gestehe, ich war sehr oft „Wandzeitungsredakteur“. Was bedeutete damals für Dich Jungpionier zu sein?

MAWIL: Ich hab mich so mitschleifen lassen vom Kollektiv. Es war halt lästige Pflicht, eine langwierige Zeremonie mehr neben den sonntäglichen Gottesdienstbesuchen. Kinder kann man mit sowas nicht begeistern. Quatschmachen mit den anderen Kids, vorher und nachher, war das einzig Lohnende.

Jens: Ist die Gruppenratsvorsitzende „Angela Werkel“ zufällig eine Anspielung auf die Kanzlerin?

MAWIL: Was? Nein! Das ist reiner Zufall, dass die so heißt. Wie kommst du denn darauf?

Kinderland Diskcoszene

Diskoszene 80er Jahre

Jens: Was haben die Winnetou-Filme für Dich bedeutet? Da gibt es ja auch eine ganze Doppelseite zu diesem Thema in Deinem Buch, die letztlich auch grundlegend entscheidend für das Ende des Buches – für „Kinderland“ –  und letztlich das Ende der DDR ist.

MAWIL: Die Indianer waren die Helden der DDR. Eine großartige Gelegenheit Westernfilme zu zeigen und zu drehen, denn da ging‘s es ja im Prinzip auch um den Kampf des Volkes gegen den Imperialismus oder wie man das erklärt hat. Außenseiter, Verlierer und Underdogs gingen immer. Egal, ob das nun Alfons Zitterbacke, Che Guevara oder die Olsenbande waren.

FKK-Szene Kinderland von mawil

FKK-Szene Kinderland von mawil

Jens: Wie schon erwähnt, erinnern viele Szenen und vor allem auch Gegenstände in den Bildern an die Zeit vor dem Mauerfall wie zum Beispiel die FKK-Szene oder die Kaubelei zur Tischtenniskelle aus dem Westen oder Honecker-Bild in der Schule, der ASV-Anzug bei Herrn Plagwitz, HO, Muttiheft oder das Magazin Sputnik unter dem Arm von Herrn Maiwald, u.v.a.
Kanntest Du dies alles auch selbst oder hast Du diese Szenen und Symbole als Stereotype für die Zone einfach in den Roman mit aufgenommen?

MAWIL: Ich hätte am liebsten noch viel mehr aufgenommen und hab jahrelang Ideen gesammelt, Sachen die mich sicher in meiner Kindheit geprägt haben, aber irgendwann passte nichts mehr rein. Das Ganze sollte ja nicht nur ein Abfeiern von Wiedererkennungen sein, sondern auch noch ein bisschen Geschichte und Drama beinhalten.

HO Kaufhallen-Szene aus Kinderland mawil

HO Kaufhallen-Szene aus Kinderland von mawil

Jens: Wie waren Deine Eindrücke, als Du zum ersten Mal im „Goldenen Westen“ warst?

MAWIL: Das kann man, glaube ich, ganz gut in dem Buch sehen. Das ist ja insgesamt vielleicht nur zu 30 % autobiografisch, aber die Mauerfallszene ist so ziemlich 1:1, wie es unserer Familie damals erging.

Im Westen Kinderland-Szene von mawil

Im Westen Kinderland-Szene von mawil

Jens: Wie lange brauchst Du für eine Seite bzw. Doppelseite? Und wie lange hast Du für „Kinderland“ gebraucht?

MAWIL: Normalerweise zeichnet man an einer Seite (Schwarz-Weiß-Zeichnung plus Ausmalen) einen Tag. Das Ausdenken davor lässt sich dagegen schwer planen. Ganz lange dauern Entscheidungen, die gefällt werden müssen. Da hat man immer Angst, die falschen zu treffen und dann womöglich 50 Seiten umsonst gezeichnet zu haben. Und wenn man von vorneherein weiß, dass es ein langes Buch wird, welches ganz lange dauern wird und es keinen Unterschied macht, ob man nun heute oder morgen damit anfängt, dann dauert es noch viel länger, als man eigentlich dachte, dass es lange dauert. So zum Beispiel bei Kinderland – 6 Jahre.

Jens: Ich danke Dir für das Interview und noch viel Erfolg bei Deinen weiteren Projekten.

MAWIL: Danke auch!

Den Comic Kinderland gibt es hier.

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(Bilder: Vielen Dank, MAWIL!)